Satisficer werden – Glück und Zufriedenheit gewinnen
Inspirationen zu einem mutigen Leben mit Tiefgang & Weitblick
Alltagszauber 3/11-2022
Das Beste ist gerade gut genug?
"Ich musste mir eine neue Jeans kaufen" erzählt Barry Schwartz in seinem Buch "Anleitung zur Unzufriedenheit". Sein letzter Jeans-Einkauf lag Jahre zurück und so ging er - wie bisher - in ein Kleidergeschäft, sagte der Verkäuferin was er braucht und nannte seine Grösse.
Doch entgegen seiner Erwartung holte die Verkäuferin nicht 2-3 Modelle aus dem Regal, sondern fragte: "Möchten sie eine Slim Fit, Easy Fit, Relaxed Fit, Baggy oder Extra Baggy? Mit Knöpfen oder Reisverschlüssen? Ausgebleicht oder normal?".
Barry Schwartz war wie vor den Kopf geschlagen, denn er wollte einfach - wie bisher - "eine normale Jeans". Die Verkäuferin bot ihm eine Hose an, er probierte sie, fand das sie nicht schlecht passt
- und dann...
fragte er sich, ob eines der anderen Modelle vielleicht noch besser passen würde.
Mangels Auswahl hätte er sich früher diese Frage nicht gestellt und hätte sich zufrieden gegeben. Jetzt probierte er jede Sorte von Jeans und fand die perfekt Passende.
Allerdings war er nur bedingt glücklich. Bisher hatte sein Jeans-Einkauf 5 Minuten in Anspruch genommen. Diesmal hatte ihn der Kauf nicht nur viel mehr Zeit und Energie gekostet, nein, der Einkauf war auch mit Angst und Selbstzweifeln verbunden.
Er war in die Maximierer-Falle geraten.
Wenn die Suche nach dem Besten unglücklich macht
Jeder weiss: Mangel zu haben, macht das Leben schwer.
Doch Barry Schwartz hat in seinen Studien entdeckt, dass viele von uns durch den Wohlstand und die immer grössere Auswahl an Produkten unglücklich werden (siehe auch letzer Blogartikel).
Warum?
Weil viele von uns MaximiererInnen sind.
Wir suchen das Beste, weil wir glauben das bringe Glück und Zufriedenheit ins Leben.
Doch schon der Kauf eines Jeans oder eines Pullovers kann so zur Tortur und zur Quelle von Frust und Unzufriedenheit werden: Die Qualität, der Schnitt, der Stil und der Preis müssen verglichen werden, um die bestmögliche Wahl zu treffen.
Allerdings bleibt nach dem Kauf die Ungewissheit, ob das das Geschäft ein Stück weiter die Strasse runter, vielleicht noch etwas Besseres hätte oder einen günstigeren Preis bietet.
Um ganz sicher zu sein, dass man die beste Wahl getroffen hat, müsste man alle Alternativen, in jedem Kleidungsgeschäft probieren.
Eine unmögliche Aufgabe.
Sucht eine MaximiererIn etwas Komplizierteres als ein Kleidungsstück, zum Beispiel einen Computer, ein Fahrrad oder eine Waschmaschine, verbringt sie wegen ihrer Maximierer-Haltung Stunden mit der Suche und mit dem Lesen von Verbraucherzeitschriften und Produktevergleichen.
Doch das ist noch nicht das Schlimmste.
Die negativen Folgen der Maximierer-Haltung
Schwartz fand heraus, dass der Versuch im Leben das Beste zu finden, neben dem enormen Zeitaufwand, viele weitere negative Folgen mit sich bringt:
Grübeln und Unzufriedenheit statt Glück und Zufriedenheit
Wie bereits gezeigt, wird ein Maximierer vom Gedanken verfolgt, dass noch eine bessere Lösung möglich gewesen wäre. Er hat also eine wenig positive Einstellung zu seiner Kaufentscheidung. Nach dem Kauf beginnt das kritische Prüfen des Gekauften, das Nachdenken über Lösungen, die noch besser hätten sein können. Was bleibt ist Unzufriedenheit.
Unruhe und fehlendes Geniessen-können
Viele Menschen sind in einem der folgenden Lebensbereich Maximierer und versuchen das maximal beste zu bekommen
im Job
Sie informieren sich deshalb ständig nach noch besseren Jobgelegenheiten, selbst wenn sie einen sehr guten Job haben.
beim Unterhaltungsprogramm
Sie zäppen deshalb unruhig durchs Radio- und Fernseheprogramm. Nicht selten haben sie schlussendlich von allem etwas, aber nichts richtig gesehen. Sie konnten sich nicht entspannt auf ein Thema einlassen.
in der Partnerschaft
ein Versuch, der natürlich scheitern muss
im Leben
Sie malen sich ein anderes Leben aus als das was sie führen und verpassen meist beides: das aktuelle Leben und den Moment um ernsthaft neue Pläne ins Auge zu fassen.
Druck und Blockaden
- Maximierer tun sich schwer Briefe und Texte zu schreiben. Denn sie suchen nicht nur nach den richtigen Worten, sondern nach den besten. Wen wundert es, dass kein Satz zustande kommt?
- Maximierer setzen sich immer die höchsten Massstäbe, bei dem was sie tun und überfordern sich früher oder später selbst.
Emotionale Belastung und Depressivität
Untersuchungen des Autors zeigen: Menschen mit hohen Maximierungs-Werten empfanden weniger Glück und Zufriedenheit in ihrem Leben, waren weniger glücklich, weniger optimistisch und niedergeschlagener als Menschen mit niedrigeren Maximierungs-Werten.
Befragte mit extrem hohen Punktwerten für Maximierung wiesen Depressionswerte auf, die fast schon im klinischen Bereich lagen.
Unter dem Strich gewinnt ein Maximierer also trotz seiner umsichtigen Wahl weniger Zufriedenheit als ein Satisficer. Letzterer beendet seine Suche, sobald sich eine Lösung als genügend gut erweist und hinterfragt seine Kaufentscheidung weniger.
Der Maximierer-Irrtum
Man könnte annehmen, dass das Streben nach Vollkommenheit wenigstens zu besseren Entscheidungen und Resultaten führt. Doch Barry Schwartz zeigt in seinen Untersuchungen:
"Während Maximierer objektiv besser abschneiden mögen als Satisficer, fahren sie in der Regel subjektiv schlechter." S.98
Maximierer finden also möglicherweise den Pullover in einer besseren Qualität oder zum günstigeren Preis, als ein Satisficer. Sie sind aber während und nach dem Kauf stärker belastet mit Gefühlen von Angst, Bedenken und Reue.
Sie geniessen die Lösung weniger als die Satisficer und verkraften es sehr schlecht, wenn die gefundene Lösung doch nicht ganz den Erwartungen entspricht. Klar - schliesslich haben sie enorm viel investiert.
Satisficer werden - Zufriedenheit macht glücklich
„Satisficer“ sind also das Gegenstück zum Maximierer. Die Bezeichnung kommt aus dem Englischen "to satisfice" und meint Menschen, die "sich begnügen".
Gemäss Barry Schwartz haben Satisficer klare Kriterien und Massstäbe. Sie wissen, was ihr neuer Pulli in Hinblick auf Sitz, Qualität und Preis erfüllen soll und gehen mit diesem Anspruch in einen Laden. Wenn sich ein Pullover findet, der diesen Masstäben entspricht, kaufen sie ihn – basta. Die Suche ist augenblicklich beendet. Bessere Pullover oder günstigere Preise, die möglicherweise gleich um die Ecke warten, interessieren nicht. Denn das was sie gefunden haben, ist "gut genug".
Ein Leben voller fauler Kompromisse?
Dem Maximierer erscheint der Satisficer als jemand, der bereit ist, sich mit Mittelmässigem abzufinden, doch das ist ein Irrtum. Der Satisficer gibt sich mit dem zufrieden, was sie Anforderungen erfüllt, während der Maximierer das absolut Beste haben möchte.
Die Ansprüche des Satisficer können hoch sein. Der Anspruch des Maximierers hingegen wird kaum einmal erfüllt, denn morgen schon findet er vielleicht heraus, dass es noch etwas Anderes gäbe. Und übermorgen entdeckt er, dass sein Nachbar etwas noch viel Besseres gefunden hat.
Der Lieblingswein
Alexander, der Protagonist im Roman "Fallers grosse Liebe" , zeigt, wie ein Satisficer tickt:
Sein Kunde, Herr Faller sagt, dass Chianti sein derzeitiger(!) Lieblingswein sei. Darauf antwortet der Satisficer Alexander: "Chianti, - ich würde nie mehr was anderes trinken".
Der Kunde Faller begreift den Vorteil dieser Haltung rasch und sagt: "Die Idee hat was. Man muss das Gute nicht mit der Suche nach Besserem beleidigen."
Zitat aus Barry Schwartz "Anleitung zur Unzufriedenheit"
Ich glaube, dass die Zielsetzung der Maximierung ein Quell grosser Unzufriedenheit ist und Menschen unglücklich machen kann – besonders in einer Welt, die uns mit einer überwältigenden Fülle von Wahlmöglichkeiten konfrontiert, trivialen und weniger trivialen. S. 89
Es ginge uns besser, wenn wir anstreben würden, was "gut genug" ist, statt immer das Beste zu wollen (haben Sie jemals einen Vater oder eine Mutter sagen hören: "Ich möchte für meine Kinder nur das, was 'gut genug' ist?".
Es ginge uns besser, wenn wir unsere Erwartungen hinsichtlich der Ergebnisse von Entscheidungen herunterschrauben würden.
Es ginge uns besser, wenn wir uns weniger um das kümmmern würden, was andere tun.
Schon gewusst?
Barry Schwartz unterscheidet zwischen Maximierer und Perfektionisten:
Ein Perfektionist versucht - zum Beispiel beim Klavierspiel - das Bestmögliche zu erreichen. Er arbeitet unter Umständen wie ein Verbissener an seinen Fertigkeiten, aber er erwartet nicht, das er DAS Bestmögliche erreichen wird. Er gibt sein Allerbeste, aber erwartet nicht, dass er das Allerbeste erreicht.
Der Maximierer hingegen gibt sich nur mit dem Allerbesten zufrieden.
"eSmi" oder "einen Scheiss muss ich" von Tommy Jaud - ein Roman
Jean Bummel, ein (fiktiver) Amerikaner war einer der unglücklichsten Menschen in seinem Land. Er steckte im Selbstoptimierungswahn fest, hatte die Idee er müsste sich und sein Leben ständig verbessern und "vorankommen". Deshalb herrschte in seinem Leben das "Muss-Monster", das ihn ständig damit bombardierte, was er "müsste".
Das änderte sich nachdem er ein Fass Bier geklaut und von der Polizei erwischt worden war. Um frei zu kommen, sollte er eine Kaution von 100 Dollar bei der Polizei hinterlegen, doch er hatte nur 99 Dollar 60 bei sich und seine Frau weigerte sich die 40 Cent auf das Polizeirevier zu bringen. Die Polizisten gaben ihm deshalb den Spitznamen "Fortycent" und behielten ihn für diese Nacht im Gefängnis.
Der unglückliche Sean Brummel rüttelte an den Gitterstäben und brüllte den Polizisten zu, dass er raus müsse, denn er habe "den Arsch voll zu tun". Er müsse aufräumen, den Rasen giessen, seine Sporttasche packen und "...ausserdem sind wir bei den Andersens eingeladen, da muss ich dabei sein!!!".
Der Polizist hörte sich das Gebrüll an und dann sagte er den Satz, den Sean Brummel zu einem neuen Leben verhalf: "Ich sage dir mal was du musst, Fortycent. Einen Scheiss musst du!"
Perplex setzte sich Sean auf seine Pritsche und stellte fest, dass der Polizist recht hatte. Er musste tatsächlich nichts. Aufräumen, Rasen giessen und ins Fitnesscenter gehen fielen dank Gefangenschaft aus. Genauso wie der Besuch bei den Andersens.
Schluss mit dem Muss-Monster
Diese Erfahrung war für Sean Brummel so tiefgreifend, dass er nie mehr in das innere Gefängnis, des "Müssens" zurückkehrte. Er enttarnte das "Muss-Monster" systematisch in allen Lebensbereichen (Karriere, Essen, Kleidung, Trainieren, Social Media checken...) und sagte immer häufiger:
"eSmi"
einen Scheiss muss ich!
*****
Die Sprache des Buches ist, wie die das Bisherige ahnen lässt, nicht immer jugendfrei und manche Idee geradezu absurd. Aber das (Hör-)Buch pustet, wie ein frischer Wind durch alte, unhinterfragte Gedanken-Konstrukte und bietet überraschende, manchmal urkomische Impulse für ein glücklicheres Leben.
Zitate und Textauszüge aus dem (Hör-)Buch
Quelle: Hörbuch "Einen Scheiss muss ich" von Tommy Jaud
Das ist das Problem, dass man uns seit Jahrzehnten glauben machen will, wir müssten stets das Beste geben, um nicht als Idiot dazustehen. Was diese unmenschliche Tellerwäscher-Lüge völlig ausser acht lässt ist: Es ist viel besser nicht der Beste zu sein. Auch wenn Medien, Politiker und sogar Freunde nicht müde werden uns mit zwanghafter Lebensoptimierung wahnsinnig zu machen... Was genau ist falsch am Zweitbesten?
Sie kennen nicht zufälligerweise Jack Sock? Nein? Müssen sie auch nicht. Jack Sock ist nämlich 35. der Tennisweltrangliste. Flennt er den ganze Tag herum deswegen? Nein, denn Jack hat mit seinen 24 Jahren bereits über 2 Millionen Dollar Preisgelder verdient und entsprechend zufrieden sieht er aus. ...
(Tommy Jaud schreibt, Jack Socks sei viel zufriedener als Novak Đoković. Denn Socks müsse nicht, wie die 77-Millionen-Dollar-Nummer1-der-Welt, verbissen trainieren, sich ultra-gesund ernähren und seine ganze Freizeit für den Erfolg opfern.)
Warum immer nach dem ersten Platz streben, wenn es hinten viel gemütlicher ist? Im Leben ist es wie im Kino: die mittleren Plätze sind die besten. In den vordersten Reihen sieht man nur die Hälfte und kriegt Nackenschmerzen.
Verstehen sie mich nicht falsch "Einen Scheiss muss ich" ist kein Plädoyer für ein durchschnittliches Leben. Es ist ein Manifest gegen das masslose Müssen, eine Kampfschrift gegen das opimierte Leben.
Schluss mit Selbstoptimierung: Meghan Trainor's "All About That Bass"
Auch die Songwriterin Meghan Trainors thematisiert den "Selbstoptimierungswahn". Sie singt in ihrem Song:
Wir Frauen lassen uns einreden, wir seien nicht gut genug, wenn wir nicht in Grösse 34 passen und wie Barbie oder ein Fotomodell aussehen.
Experten streiten sich darüber, ob ihr Lied hilfreich ist (siehe unten). Betroffene junge Frauen berichten aber, dass ihnen das Lied hilft ihren Körper so zu akzeptieren, wie er ist und sich selbst zu sagen: "Du bist völlig in Ordnung so wie du bist".
Mir geht es auch so. Ausserdem finde ich das Video lustig und frech. Mir tut es gut zu hören:
Cause every inch of you is perfect from the bottom to the top
Ausschnitt aus dem Liedtext "All about that bass":
Ja klar pass' ich nicht in Kleidergröße 34 rein
Aber - hei, ich hab dafür ordentlich etwas zu schütteln
und so soll es sein.
....
Ha! Das seh ich doch gleich, dass diese Modemagazine mit Photoshop rumbasteln
Wir wissen, der Scheiss ist nicht echt
also komm schon, hören wir damit auf.
...
Ich weiß, dass du dich für zu fett hältst.
aber ich bin hier, um dir klarzumachen, dass
von unten bis oben jeder Zentimeter an dir PERFEKT ist!
Mehr zur Entstehung und Diskussion zum Song bei Wikpedia (engl.)
Das Leben findet draussen statt - von wegen!
Ständig dem besten Wetter hinterher rennen und raus gehen, nur weil die Sonne scheint. Was sagt Sean Bummel dazu? Natürlich:
Einen Scheiss müssen Sie - oder gehen Sie auch rein, wenn es dunkel wird?
Wer würden Sie sagen ist weniger gestresst und befindet sich mental in einer besseren Verfassung? Derjenige, der unabhängig vom Wetter das macht, was er ohnehin vorhatte oder diejenige armselige Kreatur, die beim erste Sonnenstrahl rausspringt wie ein Stuntman?
In diesem Sinne wünsche ich Dir für den Jahreswechsel nicht das Beste, sondern viel Zufriedenheit mit all den Dingen in Deinem Leben, die gut genug sind.
Themen des nächsten "Alltagszauber"
Nr. 4, Januar 2023: Mehr Zeit haben
Nr. 5, Februar 2023: Das bessere Leben beginnt im Kopf
Nr. 6, März 2023: Mit der "Nein-Challenge" innere Grenzen sprengen
Nr. 7, April 2023: Ja-sagerIn werden und besser leben
Newsletter Alltagszauber, 3/12-2022
Der Newsletter hat Dir gefallen? Inspiriere auch Deine Freunde. Teilen ist ausdrücklich erwünscht