3 Gründe warum wir essen, obwohl wir Diät halten wollen

​Im ersten Beratungsgespräch fragte ich meine Klientinnen, wie es ihnen mit ihrem Leben geht  - abgesehen von dem Problem das sie in meine Praxis führte.
"Gut“, lautete jedes Mal die Antwort. Und sie erzählten mir von ihren Jobs, Freunden und Freizeitbeschäftigungen. Man konnte zum Schluss kommen, dass in ihrem Lebensgarten alles ganz in Ordnung ist. Alles war okay. Ausser diese "Essprobleme".

Als junge Beraterin verwirrte mich das. Denn ich wusste, dass es kein Zufall ist, wenn jemand isst, obwohl er nicht essen will. Doch bald kapierte ich: die belastenden Arbeitssituationen oder Familienverhältnisse, der (all-)tägliche Frust und Ärger oder ihre Einsamkeit und ihr emotionaler Schmerz war für meine Klientinnen ganz normal.

Die Frage, wie es ihnen geht, zeigte vielleicht mir was in ihrem Leben los ist. Aber für meine Klientinnen enthüllt das die Hintergründe für ihr Essverhalten nicht.

Also stellte ich bald eine andere Frage: "Wie fühlst Du Dich nachdem Du das, was Du eigentlich gar nicht essen wolltest, gegessen hast?"
Die Frage erschien ihnen anfangs seltsam. Doch wenn sie auf ihre emotionale Reaktion hörten, fanden sie aufschlussreiche Antworten.


1. Essen als Bewältigungsstrategie "schwieriger" Gefühle

Neben der Wut über sich und ihren Schuld- und Schamgefühlen nach den "Essattacken"*, entdeckten meine Klientinnen, dass es ihnen nach dem (Über-)Essen "irgendwie besser ging". Irgendwelche Stimmungen oder schlechte Gefühle, die Ratlosigkeit was sie mit sich anfangen sollen oder die körperliche Müdigkeit waren dank des Essens verflogen oder gar nicht erst aufgetaucht.
Natürlich fühlten sie sich nach der Essattacke vor allem schlecht. Aber ein anderes Problem hatten sie durch das Essen gelöst.

Zum Beispiel

  • hatten sie das Problem mit dem Übergang von der einen Tätigkeit (vom Job nach Hause kommen) zur nächsten (was mache ich jetzt?) gelöst.
  • konnten sie heftige (negative und positive!) Gefühle beruhigen
  • bekamen sie neue Energie und konnten so ohne Pause weiter funktionieren
  • konnten sie Gefühle des Verlusts (ich komme zu kurz), der Überforderung oder der Leere mit dem Essen zum Schweigen bringen. Typisch dafür ist die innere Begründung "Man gönnt sich ja sonst nichts".
  • Auch die Bedürfnisse nach Geliebt-werden, Gemeinsamkeit, Wertschätzung und der Protest des Körpers über mangelnde Bewegung verstummte nach dem Essen.


Disziplinlosigkeit ist nicht das Problem

Meine Klientinnen glaubten dem gängigen Irrtum unserer Zeit, man müsse nur genügend entschlossen sein, dann könne man alle seine Ziele erreichen. Deshalb fanden sie es absurd, dass ihr Wollen zu nichts führte.
Doch es liess sich nicht leugnen:  In ihrem klaren Bewusstsein hatten meine Klientinnen entschieden "diszipliniert" zu sein, also Diät zu halten oder etwas Gesundes zu Abend zu essen. Doch ein anderer Teil in ihnen, veranlasste sie - quasi hinter ihrem eigenen Rücken - beim Einkaufen verbotene Lebensmittel in den Einkaufswagen zu legen. Im Restaurant brachte er sie dazu "spontan" doch etwas Deftiges oder Süsses zu bestellen.

Keine Frage: ein Teil in ihnen wollte keine Diät halten. Er liess Vorsätze dahinschmelzen, schwor hoch und heilig, es sei eine Ausnahme und das Eingekaufte sei für die Vorratskammer nicht fürs Abendessen gedacht. In Wahrheit begann so manche Essattacke, die erst endete, als alles aufgegessen war. 

Dieser Teil in ihnen schien "der Feind" meiner Klientinnen zu sein. Sie verurteilten und bekämpften ihn und wollten ihn disziplinieren. Ich schlug vor, ihn als Freund zu sehen. Ein Freund, der gerade durchdreht, aber immerhin ein Freund ist. Er will ihnen nichts Böses. Er holt sich nur das emotional Lebensnotwendige und versucht Probleme zu lösen.


Hauptthema: (Selbst-)Ablehnung

Wenn wir uns eine Diät auferlegen, drücken wir damit oft aus, dass wir so wie wir sind, nicht genügen. Wir finden uns selbst nicht akzeptabel oder haben Angst von anderen nicht akzeptiert zu werden. Mit einer Diät geben wir der Kritik an uns Recht. Damit fügen wir uns emotionalen Schmerz zu. 

Ablehnungsschmerz ist sehr, sehr (!!!) schmerzhaft, denn er stellt den Wert unseres innersten Wesens in Frage. Doch meine Klientinnen nahmen diesen Schmerz nicht mehr wahr. Längst hatten sie akzeptiert, dass sie einem Ideal zu entsprechen haben und bekämpften alles Unperfekte an sich.

Der gesunde Teil in ihnen reagierte auf diesen Schmerz. Er rebellierte gegen die Vorschriften, hinter denen sich die (Selbst-)Kritik versteckt und versuchte den Ablehnungsschmerz zu stillen. Womit? Mit dem Ausbruch aus dem Vorschriften-Korsett: mit Essen und Essattacken.

Langsam entdeckten meine Klientinnen, dass sie sehr schmerzliche Kritik und Ablehnung in ihrer Kindheit erlebt hatten. Zugleich gab es zu wenig Rückhalt und Zuwendung in ihrem Leben, der sie bestärkte, dass

  • sie so wie sie sind liebenswert sind und 
  • die Ablehnung und Kritik anderer wenige mit ihnen selbst zu tun hat. 

So kamen sie zu der irrigen Annahme, sie würden um ihrer selbst willen akzeptiert und wertgeschätzt, wenn sie den Ansprüchen anderer bzw. dem Ideal entsprechen. Damit waren sie anfällig für die Werbe-Versprechen der Diäten.

Versehentlich verstärkten sie mit dem Diäthalten ihr Leid, statt es zu lösen:
mit dem Weg des Verzichtens und der Selbstkasteiung fügten sie sich selbst permanent Schmerz zu und verursachten einen inneren Mangelzustand. Ihr Innerstes (und auch ihr Körper) lernte, dass die eigenen Bedürfnisse ignoriert werden. Verlustgefühle und der Eindruck permanent zu kurz zu kommen, nisteten sich in ihnen ein. Das erklärt, wieso der vermeintliche Feind die "vernünftigen" Entscheidungen untergräbt: er gleicht diese Mangelgefühle aus.
Lernten meine Klientinnen aufmerksam auf ihre Bedürfnisse zu hören und sich mit allem was sie brauchen (körperlich und emotional) zu nähren, liess der innere Druck nach und die verloren geglaubte Selbstkontrolle wurde wieder möglich.


2.  Körperliche Mangelzustände ausgleichen

Natürlich stehen hinter Gelüsten und Essattacken nicht immer emotionale Verletzungen und Bewältigungsstrategien. Auch ein Nährstoffmangel oder ein körperliches Problem kann dafür verantwortlich sein, dass eine Frau Schokolade unwiderstehlich findet und eine ganze Tafel essen "muss". Vielleicht wirft sie sich dann vor keine Disziplin zu haben, dabei hat ihr Körper sich genau das geholt, was er zum Erhalt aller Funktionen  braucht... Wäre der Schokoladen-Esserin klar, welche Wirkung ein Lebensmittel hat, könnte sie mit einer angepassten Ernährung den Nährstoffmangel ausgleichen und wäre, wie ich, "immun" gegen Schokolade.

Auch die Darmbakterien können dafür verantwortlich sein, dass das Gewicht stetig steigt, obwohl man sich gesund und sinnvoll ernährt. Wer solche Zusammenhänge nicht kennt, ist in Gefahr die Symptome zu bekämpfen statt das wahre Problem zu lösen.

Die Unterscheidung zwischen emotionalen Ursachen und körperlichen Mangelerscheinungen ist nicht leicht. Mit Fachleuten wie Gaby Stampfli zu klären, ob ein körperlicher Mangel oder ein körperliches Problem besteht macht Sinn. Für überflüssige Selbstvorwürfe ist das Leben zu kurz, finde ich.


3. Essen stillt den inneren Hunger und füllt die Leere des normalen Alltags

Keine der Frauen, die in meine Praxis fanden konnten mit „Ja“ antworten, wenn ich fragte "Ist Dein Leben so wie Du es Dir wünscht?“
Verwirrt murmelten sie Sätze wie „man kann nicht alles haben“, „das Leben ist nicht perfekt“ … es ist nicht so schlimm, das ist doch normal oder: ich bin mit xy unglücklich, aber was soll ich denn tun? Ich kann doch nicht einfach davonlaufen?"

Ja, sie hatten sich an ihr Leben, ihre Lebenssituation gewöhnt und halfen sich mit Essen um ihren Herzenshunger zu stillen und das alltägliche Elend zwischen Alltagsgrau, unerfüllten Bedürfnissen und ungelebtem Leben zu überstehen. Essen macht (leider) Vieles erträglich. Sinn und Glück ersetzt es nicht.

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Fragen?

Welche Frage zum Thema hättest Du gerne beantwortet? Lass es mich wissen. Gerne beantworte ich sie Dir.




* Was eine Essattacke ist, wird in den diagnostischen Manualen klar definiert (DSM und ICD). Praktiker wie zum Beispiel Geneen Roth sprechen auch dann von Essattacken, wenn keine grossen Nahrungsmittelmengen im Spiel sind. Sie nehmen den Kontrollverlust als entscheidendes Kriterium. Das macht Sinn, weil längst nicht jede Person, die unter fehlender Kontrolle beim Essen leidet, die Kriterien einer Essstörung erfüllt. Dennoch verursacht das Problem Leiden und gilt gelöst zu werden.


Bildquellen:

Blumen DreamyArt auf Pixabay
Bild mit Schaufel von Goumbik auf Pixabay
Herzblatt Kevin McIver auf Pixabay
Bild Shame von John Hain auf Pixabay 



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2 Antworten

  1. 20. Februar 2020

    […] Verzichten wir darauf zu essen, wenn wir keinen Hunger haben, spüren wir das, was wir bisher "weg-gegessen" haben. Wir sind mit unseren Gefühlen, emotionalen Bedürfnissen, Unsicherheiten oder Ängsten konfrontiert (siehe Blogartikel "3 Gründe warum wir essen, obwohl wir Diät halten wollen"). […]

  2. 2. Dezember 2020

    […] Das eigentliche Problem dahinter ist: der Ansatz ist komplett falsch. Das Weg-lass-Prinzip funktioniert nicht. Wenn der Fokus auf dem liegt, was man nicht isst, führt das nicht nur zu langweiligen Mahlzeiten, sondern auch zu einem Gefühl des Mangels. Die nächste Essattacke, das übermässige Naschen von Süssigkeiten ist vorprogrammiert (siehe Blogbeitrag zum Thema Essattacken). […]

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